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Das Freakhotel von Buchsi

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Hans Wyssmann

Im Sog der Jugendunruhen der 1980-er-Jahre existierte in Herzogenbuchsee eine ganz spezielle Künstler-WG - vom Dorf nahezu unbemerkt. Im „Freakhotel“ lebte man alternative Wohnformen, wurden wilde Partys gefeiert und die Band „Stop the Shoppers“ gegründet. Dort entstand auch ein Kunstwerk, das später in die Geschichte der Berner Reitschule eingehen sollte.

Heiko Schütz, der Eisenplastiker aus Niederönz, erinnert sich noch gut daran. Eines Morgens steckten vier junge Leute die Nase in sein Atelier. „Sie waren auf der Suche nach einer neuen Bleibe.“ Heiko Schütz konnte weiterhelfen. „Ich wusste von einer halb leerstehenden ehemaligen Giesserei am Birkenweg in Buchsi“. Durch Vermittlung von Schütz konnten die jungen Frauen und Burschen dort am selben Abend noch einziehen. Das war im Jahr 1983 der Beginn des „Freakhotels“, wie Heiko Schütz die WG taufte. Enden sollte das Wohnexperiment einige Jahre später mit dem Abbruch der Liegenschaft.

Zu den tragenden Leuten der WG gehörten unter anderem Schmidi Schmidhauser und Matthias „Maffi“ Schmid. Beides sind heute bekannte Künstler, Schmidhauser als Maler und Musiker, Schmid als Eisenplastiker. „Es war eine schöne Zeit voller Freiheit“, blickt Schmidi Schmidhauser auf die paar Jahre in Buchsi zurück. Neben dem harten Kern war ein ständiges Kommen und Gehen von unterschiedlichsten Bewohnerinnen und Bewohnern. Da sie von Kunst und Liebe nicht leben konnten, halfen sich die Freakhotel-Leute mit Gelegenheitsarbeiten über die Runden. Wer Geld hatte legte solidarisch etwas in die Haushaltkasse. „Wir nahmen auch Geflüchtete aus diversen Ländern auf“, erzählt Schmidhauser. Sie seien durchaus politisch unterwegs gewesen und setzten sich für Drittweltländer, gegen die Umweltverschmutzung und den Konsumwahn ein. „Alles Themen, die heute noch aktuell sind, auch wenn sie anders benannt werden."

Bald verkehrte im Freakhotel eine breite Musik- und Künstlerszene. So war neben Heiko Schütz auch Bernhard Luginbühl und seine Söhne fleissige Gäste. Aus der ehemaligen Giesserei holte Vater Luginbühl Holzgussformen, die er für seine „Zorn“-Verbrennungen brauchte. Einmal im Monat gab es eine wilde Party mit Livemusik. Die Bands wie auch die Besucherinnen und Besucher pilgerten aus der ganzen Schweiz nach Buchsi. In diesem kreativen Umfeld gründete Schmidi Schmidhauser die Strassencombo „Stop the Shoppers“. Der Name war Programm: Die Band tingelte bald durch die Einkaufsmeilen von halb Europa. Mit von der Partie war auch der Buchser Andi Hug, der heute bei Patent Ochsner das Schlagzeug führt.

Vom Buchser Kornhaus an die Berner Reitschule

Für seine erste Ausstellung schuf Matthias Schmid im Freakhotel einen grossen Hampelmann. Im April 1986 fand im Gemeindepark in Buchsi im Rahmen der 1100-Jahrfeier die Ausstellung „Handwerk an der Arbeit wie anno dazumal“ statt. Eigentlich war der Hampelmann dafür gar nicht vorgesehen. Künstlerfreunde um den Kurator Helmut Schwarz fanden jedoch, dieser passe sehr wohl zur Ausstellung, und sie hängten den Hampelmann in einer Nacht-und-Nebelaktion ans Kornhaus. Ein Jahr später, im Oktober 1987 hing derselbe Hampelmann als „Albiseppli“ am Eingang der damals besetzten Berner Reitschule (Marco Albisetti war in den 1980-er-Jahren Polizeidirektor der Stadt Bern). Wie kam es dazu? Gemäss Schmidhauser gehörten die Leute vom Freakhotel zwar nicht zum harten Kern der Berner Jungendbewegung. „Wir unterstützten aber den Kampf für mehr Freiräume und waren als Sympis dabei“. Die Freakhotel-Leute wollten gewaltfrei und mit Witz ein Zeichen gegen die Obrigkeit setzen. So kam ihnen die Idee mit dem „Albiseppli“. Der Hampelmann von Matthias Schmid hing lange an der Reitschule und wurde so zum Symbol für das Spielerische aber auch das Rebellische und Provozierende der Reitschule.

Kaum Einheimische

Auch wenn nur wenige Einheimische im Freakhotel verkehrten, ganz unbemerkt blieb das Treiben der Hippie-WG in Buchsi nicht. „Die Nachbarschaft hatte keine Freude an uns. Wir wurden angefeindet und hatten immer wieder die Polizei im Haus“, schildert Schmidi Schmidhauser die Situation im Lorraine-Quartier

Hannes „Johnny“ Hug, heute Radio- und TV-Moderator und in Buchsi vor allem bekannt durch die Talkshow «Pflotschhoger», die er zusammen mit Bänz Friedli im Kreuz-Keller moderiert, war einer der seltenen Buchser Gäste. Er, der im Dorf eher aneckte, fühlte sich dort sofort wohl. «Ich verkehrte viel im Freakhotel. Die Leute hatten mich gerne.» Seinen Buchser Kumpels, die er einmal mitnahm, war das Treiben dort allerdings zu wild. Hannes Hug aber feierte seinen 18. Geburtstag in der WG unter dem Motto «Halagaga - Essen und Trinken und Musik ab 20.00 Uhr – Verbandszeug mitnehmen». Hauptsache wild!

Das Freakhotel zog nicht nur Kreativgeister sondern auch Junkies an. Die Junkie-Szene nahm mehr und mehr überhand. «Wir haben vergebens dagegen gekämpft», sagt Schmidi Schmidhauser rückblickend. Dies war einer der Gründe weshalb die Gründer den Ort nach und nach verliessen.

Das Freakhotel musste weichen

Wie und wann das Freakhotel letztlich endete, kann mehr als 35 Jahre später nicht mehr genau rekonstruiert werden. Die Fabrik jedenfalls wurde abgerissen und musste zwei kleineren Mehrfamilienhäusern weichen. 0815 war angesagt. Im Zusammenhang mit der Fusion der Gemeinden Herzogenbuchsee und Oberönz wurde die Strasse übrigens von Birken- in Lindenweg umbenannt. Als wollte man das Freakhotel damit endgültig aus dem kollektiven Bewusstsein von Buchsi verdrängen.

Juni 2023

 

 

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